Europäische Orchideen
Im Überblick
Bei Orchideen denken die meisten Menschen sofort an tropische Pflanzen mit wunderschönen, großen Blüten. Diese Assoziation ist nicht falsch, da die meisten der etwa 20.000 Arten dieser Pflanzenfamilie tatsächlich in den Tropen wachsen. Aber auch in Europa gibt es etwa 700 wildwachsende Orchideenarten. Die Familie der Orchideen (Orchidaceae) gehört innerhalb der Klasse der Bedecktsamer (Magnoliopsida) zu den Einkeimblättrigen Pflanzen (Monokotyledonen).
Gleich, ob die Blüte einer Art nur wenige Millimeter groß und unscheinbar, oder ob sie nahezu riesig und sehr farbenprächtig ist, folgt der Aufbau der Blüte jedesmal dem selben Grundbauplan. Die Blüte ist gestielt oder sitzend mit unterständigem Fruchtknoten. Der Blütenstiel oder Fruchtknoten ist meist um 180° gedreht, so dass die Lippe nach unten zeigt. Bei wenigen europäischen Arten unterbleibt diese Drehung oder es liegt eine Drehung um 360° vor, so dass die Lippe nach oben zeigt.
Beispiele für eine Blütendrehung um 0° oder 360°
Alle Orchideenblüten weisen eine Blütenhülle (Perianth) aus 6 Blütenblättern auf, die aus einem inneren und einem äußeren Kreis zu je 3 Blütenblätter aufgebaut ist. Der äußere Kreis besteht aus den mehr oder minder identisch entwickelten Kelchblättern (Sepalen). Zu diesem versetzt ist der innere Blütenkreis aus den drei Kronblättern. Zwei Kronblätter sind ebenfalls identisch, diese werden Petalen genannt, das dritte Kronblatt ist zur Lippe umgestaltet.
Blütenblätter und Blütenaufbau
Die Staubblätter und der Griffel sind zu einer Säule (Gynostemium) verwachsen. Alle europäischen Orchideen weisen ein Staubblatt auf, einzig Vertreter der Gattung Cypripedium besitzen zwei Staubblätter. Die Staubbeutel zeigen nun zwei Pollenfächer, in denen sich je ein Pollinium befindet. Ein Pollinium besteht aus vielen zu einer Masse veklebten Pollen sowie aus einer Haftscheibe. Mit dieser wird das Pollinium dem Bestäuberinsekt angeheftet, ehe dieses das Pollinium an der Narbe einer anderen Blüte abgibt. Die Narbe befindet sich hinter den Pollenfächern.
Pollinien
Nach erfolgreicher Bestäubung werden die Samen produziert. Die Familie der Orchideen nimmt bei der Vermehrung ebenfalls eine Sonderstellung ein. Die meisten Pflanzen statten ihren Samen mit viel Nährgewebe aus, das dem Keimling so lange zur Entwicklung reicht bis dieser genügend Wurzeln und Blätter entwickelt hat, dass er sich selbst versorgen kann.
Orchideensamen hingegen enthalten nahezu keinerlei Nährgewebe (Endosperm), so dass der Samen zur erfolgreichen Keimung auf die Hilfe von Bodenpilzen angewiesen ist, die mittels verschiedener Stoffe wie Lipide angelockt werden. Die Mykorrhiza des Pilzes beginnt mit der Verdauung der Samenkapsel, aus der Keimanlage bildet sich der Embryo, der zumindest die erste Zeit eine enge Symbiose mit dem Wurzelpilz eingeht. Der Pilz liefert dem Orchideenkeimling Wasser und Nährstoffe und ist somit für sein Wachstum essentiell. Manche Arten sind im Alter autark, sie können ihre Abhängigkeit von dem Wurzelpilz überwinden. Andere Arten hingegen sind zeitlebens auf die Wurzelpilze zur eigenen Versorgung angewiesen, es handelt sich um mykoheterotrophe Pflanzen.
Der Verzicht auf eine Ausstattung des Samens mit Nährgewebe (Endosperm) bietet jedoch auch einen großen Vorteil. Da Orchideensamen nahezu nur aus einer harten Samenhülle und der Erbanlage bestehen, sind diese extrem winzig und leicht. Eine Samenkapsel enthält bei den meisten europäischen Orchideenarten um die 10.000 staubfeine Samen. Beim Europäischen Frauenschuh (Cypripedium calceolus) können es sogar bis zu 40.000 Samen/Samenkapsel sein. Die Samenverbreitung erfolgt durch den Wind, der die feinsten Samen teils kilometerweit verbreitet. Aufgrund der hohen Ansprüche an das Biotop ist aufgrund dessen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Samen auf einem geeigneten Standort zum Liegen kommt. Besonders einleuchtend verhält es sich in den Tropen, wo die meisten Orchideenarten epiphytisch wachsen. Epiphyten sind Aufsitzerpflanzen, die auf Bäumen wachsen, wo sie deutlich besser mit Licht versorgt sind. Mit ihren staubfeinen Samen haben Orchideen einen geeigneten Weg gefunden, sich auch in den Gipfeln benachbarter Urwaldriesen anzusiedeln.