Alpen

Travelog Vietnamreise 2013

Lieber Besucher.

Mit der Veröffentlichung meines Tagebuchs habe ich lang gezögert. Letztlich gebietet es aber die Ehrlichkeit einem selbst gegenüber, zu eigenen Unzulänglichkeiten zu stehen und offen mit diesen umzugehen.

Ich war für zwei Wochen als Backpacker in Vietnam unterwegs: Ausgestattet mit einem groben Reiseplan und einem vorab gebuchten Hin-, Inlands- und Rückflug. Alles andere entschied und organisierte ich spontan. Ich erlebte zwei wunderbare Wochen. Tauchte tief in biologische Feldarbeit ein, war bei dem führenden Affenforscher Indochinas zu Gast, sah extrem seltene Affen in freier Wildbahn, hatte My Son für mich alleine, unternahm mehrtägige Touren mit Easy Ridern und erlebte die gesamte kulinarische Bandbreite der vietnamesischen Küche, die von ungenießbar bis zu überirdisch reichte.

Nach zwei sehr eindrucksstarken Wochen hatte ich schlussendlich doch Pech. Nicht weil ich auf mafiöse Strukturen stieß, sondern schlicht aufgrund eigener Schusseligkeit. Meine Kamera wurde gestohlen und gleichzeitig verlor ich sämtliche bis dahin gemachten Fotos. Jedoch hätte mir dasselbe in Deutschland widerfahren können.

Dass diese Seiten doch noch einige Fotos aufweisen, liegt zum einen daran, dass meine Bekannte mir freundlicherweise einige ihrer Bilder zur Verfügung stellte [An dieser Stelle nochmals: Vielen Dank.], ich ihr während des Urlaubs ein paar von meinen auf ihren Laptop kopierte und ich mir schlussendlich in Vietnam eine Kompaktkamera kaufte.

Sollten sie über ein paar Fotos verfügen, die thematisch zum Reisebericht passen, so würde ich mich unheimlich freuen, sofern sie mir diese zur Veröffentlichung auf dieser Seite zur Verfügung stellen würden. Selbstverständlich werde ich die Bilder mit einem entsprechenden Bildnachweis versehen.

Die Vorgeschichte

Bislang war Vietnam für mich mehr ein schwarzes Loch auf der Weltkarte als ein ernsthaftes Reiseziel. Bei Vietnam kamen sofort Assoziationen mit abgewrackten US-Veteranen und Agent-Orange-geschädigten Vietnamesen auf. Was sollte ich dort? Bis eine entfernte Bekannte von mir eben dorthin aufbrach, um ihre Diplomarbeit über Delacour-Languren zu starten. Schon der Umstand, dass ich vor Jahren selbst einmal erwogen hatte, Biologie zu studieren und nun die Gelegenheit hatte, biologische Feldarbeit live zu erleben, weckte mein Interesse.

Aber ganz ehrlich: Ich kannte Langusten, aber Languren? Dank Google war diese Bildungslücke alsbald geschlossen und zugleich mein Interesse richtig entfacht. Bislang war mir entgangen, dass Vietnam die höchste Artenvielfalt an Affen, wozu auch die Delacour-Languren zählen (genauer gesagt gehören sie zur Gruppe der Schlankaffen), in ganz Indochina aufweist. Unter diesen sind fünf Arten, welche zu den 25 bedrohtesten Primaten der Welt zählen. Aber auch sonst ist das Arteninventar ein Who-is-who: Tiger, Elefanten, Schuppentiere, Gaur, Kragenbären, Nebelparder, Siamkrokodile, unzählige Vogel- und Schildkrötenarten – um exemplarisch nur einige zu nennen.

Doch blickt das Land auch auf eine bewegte Geschichte zurück, die eben nicht bei den Vietnamkriegen oder der Kolonialzeit beginnt. Die fantastischen Ruinen von My Son oder die Kaiserstadt Hue zeugen davon. Mit angeblichen 500 Gerichten und mobilen Garküchen allerorten ist das Land kulinarisch ebenso vielgestaltig wie landschaftlich. Hier reicht das Potpourri von der weltberühmten Halong-Bucht, über im Krieg entwaldete Landstriche und immergrünen Regenwald bis zum Mekong-Delta und palmen-gesäumte Sandstrände.

Also machte ich mich auf zu einer zweiwöchigen Backpackertour …

Angekommen und prompt reingefallen (Tag 1, 05.01.2013)

Vom Flughafen fahre ich mit dem Taxi zur Innenstadt von Hanoi. Einige Tage später wird mir bewusst werden, dass ich bereits nach wenigen Minuten in die erste vietnamesische Falle getappt war: Übermüdete Touristen werden am Flughafenausgang von Taxifahrern nahezu in ihre Abzockmaschine genötigt. Hat man erst einmal Platz genommen, dann werden einem die Hoteltipps aus dem Reiseführer madig gemacht (überteuert, seit Tagen ausgebucht, laute Gegend, etc.). Stattdessen wüsste er ein gutes, billiges Hotel. Mein müdes, jetlag-geplagtes Gehirn zieht den Umstand einer provisions-motivierten Redseligkeit des Fahrers nicht in Betracht und zuletzt akzeptiere ich auch eine vermeintlich hohe Taxirechnung bei wohl manipuliertem Taximeter. Aber einige Tage später beim Inlandsflug werde ich wacher sein …

Zunächst schlafe ich meinen Jetlag aus, später starte ich dann zu einer Erkundungstour von Hanoi. Gleich in der Nähe befindet sich der Ngoc-Son-Tempel. Gleichwohl wimmelt es in Vietnam von Tempeln und Pagoden, so dass dieser Tempel keine herausragende Rolle spielt.

In Hanoi bemerkt man viel deutlicher als zuletzt in Indonesien die aufstrebende Wirtschaftsnation. Die Vietnamesen sind adrett gekleidet. In den Straßen stehen dicht an dicht Schuh- und Bekleidungsgeschäfte, in denen – abgesehen vielleicht von der Kleidergröße – auch modebewusste Europäer problemlos fündig werden könnten. Als Fußgänger fällt einem wieder einmal die Selbstorganisation des Verkehrschaos auf: Ganze Tiraden von Motorbikes, die sich aus allen Himmelsrichtungen perfekt durchkreuzen, ohne sich auch nur etwas zu nahe zu kommen. Einzig ich als Europäer, der Zebrastreifen und Fußgängerampeln gewohnt ist, bleibt ein Störfaktor in diesem organisierten Chaos. Schließlich – nach einiger Zeit der Beobachtung der Vietnamesen – traue auch ich mich, eine vierspurige Straße zu überqueren. Die Augen halb geschlossen, überquere ich langsam, aber mit konstantem Tempo die Straße.

Allmählich bricht die kalte Nacht herein. Alle paar Meter erhebt sich emsig der Dunst aus den Kochtöpfen der kleinen Garküchen an den Straßenecken und lockt mit dem feinen Bouquet vietnamesischer Gewürze und Kräuter. Der Hunger obsiegt über hygienische Bedenken und ich nehme schließlich in einer der Garküchen Platz. Naja, eigentlich zwänge ich meine langen Beine unter einen winzigen Tisch und versuche auf dem niedrigen Kindergartenhocker das Gleichgewicht zu behalten. Aber es lohnt sich, das Essen ist vorzüglich. Aus allen Töpfen lasse ich mir etwas von der älteren Köchin auftischen. Als durch ihr Lächeln ihre ohnehin sonnengegerbte Haut um ein paar weitere Falten bereichert wird, verfliegen auch meine letzten Zweifel und ich genieße die köstlichen mit Hackfleisch gefüllten Paprikaschoten sowie Krauttaschen.

Kulinarische Höhepunkte (Tag 2, 06.01.2013)

Heute Nachmittag werde ich mit dem öffentlichen Linienbus in den Cuc Phuong Nationalpark fahren. Vormittags erkunde ich nochmals Hanois Altstadt, deren Straßen thematisch mit Geschäften besetzt sind. In einer werden nur Seidenartikel angeboten, in einer anderen nur Gewürze, in der nächsten Farben oder beispielsweise Blechartikel. Erneut kehre ich in einer Garküche ein und starte den Tag vietnamesisch-klassisch mit einer vorzüglichen Suppe: Pho Bo, eine Nudelsuppe mit Rindfleisch, bestehend aus einer Brühe aus Rinderknochen, Schalotten, Ingwer, Fischsoße, Kardamon, Sternanis, Zimtkassie – kombiniert mit Bandnudeln, Rinderfleisch sowie vielen frischen Kräutern wie zum Beispiel Koriander.

In Vietnams Straßen tummeln sich überall Straßenverkäuferinnen mit typischer Kopfbedeckung. Meist wird Essen oder Obst angeboten, seltener Souvenirs wie hier. Foto: S. Elser.

Allmählich wird es ernst. Ich breche auf zum Regionalbusbahnhof Giap Bat im Süden von Hanoi. Der Rezeptionist bestellt ein „Taxi“, welches sich dann als Xe om – eines dieser Motorradtaxis – herausstellt. Zunächst stellen sich bei mir die Nackenhaare auf. Gestern beobachtete ich den Verkehr noch bewundernd von der Seite, heute soll ich ein Teil von diesem werden. Was soll’s. Also Helm auf und aufgestiegen auf das Motorbike. Nun geht es wieselflink durch Hanois Gassen und Schnellstraßen Richtung Süden. Je länger die Fahrt dauert, desto mehr finde ich an ihr Gefallen.

Obwohl bereits vorgewarnt, bin ich über die Verhältnisse am Busbahnhof etwas irritiert. Etwa ein Dutzend Treiber reden ohne Punkt und Komma auf mich ein und versuchen mich redselig davon zu überzeugen, dass ihr Bus der Richtige sei. Ich bleibe aber stur und kämpfe mich in die riesige Tickethalle vor. Nach minutenlanger Suche finde ich endlich den richtigen Schalter, erwerbe ein Busticket und lasse mir das KFZ-Kennzeichen ‚meines‘ Busses notieren. So ausgestattet begebe ich mich auf den dahinter liegenden Parkplatz und suche die etwa hundert Busse nach dem richtigen Kennzeichen ab.

Über Highways geht es Richtung Süden. Nach etwa zwei Stunden Fahrt erreichen wir Van Long, wo dann tatsächlich meine Bekannte dazu steigt. Etwa 15 Kilometer vor dem Ziel hält jedoch der Bus. Da wir zusammen mit einem vietnamesischen Mädchen die letzten Fahrgäste sind, entbrennen heftige Diskussionen, ob sich die Weiterfahrt bis zum Ziel überhaupt lohnen würde. Zunächst werden wir daher ungalant aus dem Bus geworfen, um nach einigen Diskussionen schließlich doch an das Ziel befördert zu werden. Im Cuc Phuong Nationalpark lassen wir den Abend bei circa 10 °C auf der Terrasse mit zwei Bier ausklingen.

Geweckt von melodischen Gibbon-Gesängen (Tag 3, 07.01.2013)

Der Tag beginnt typisch vietnamesisch. Ich stehe um 06:30 Uhr auf, ringsherum ist schon eifriger Trubel. Die Vietnamesen gehen zeitig zu Bett, aber stehen auch in aller Herrgottsfrühe auf. Beim Aufstehen überrascht mich ein melodischer Gesang aus dem Wald, bei dem es sich sicher um Gibbons handeln muss, deren Musikalität in der Tat verblüffend ist. Zum Frühstück gibt es ein Instant-Abklatsch der Pho Bo, der in keiner Weise mit der Qualität der Hanoier Suppenküchen mithalten kann.

Wir besuchen zunächst das Endangered Primate Rescue Centre (EPRC). Bei diesem handelt es sich um ein weitläufiges Areal, welches als Auffangstation für Languren und Gibbons dient. In dutzenden Gehegen befinden sich insgesamt weit über 100 Affen, die sich teils seit über 20 Jahren im EPRC befinden. Das ist das eigentlich Erschreckende. Das EPRC ist nicht eine einfache Zwischenstation zu einem Leben in Freiheit, sondern wird für viele Affen das Dauerheim, da geeignete Biotope, welche dauerhaft Sicherheit bieten, fehlen oder die Affen derart verhaltensgestört oder verstümmelt sind, dass sie in der Wildnis nicht mehr überleben könnten. Wiederum zeigen sich deutlich die Probleme, in denen sich der Naturschutz befindet. Hochbedrohte Arten lassen sich wohl langfristig nur in Einrichtungen wie dem EPRC erhalten. Ein Artenschutz in Freiheit erscheint mir auf Dauer illusorisch.

In freier Wildnis leben noch ungefähr 50 Cat-Ba-Languren (Trachypithecus poliocephalus). Damit gehört diese Art zu den seltensten Primatenarten weltweit. Foto: S. Elser.

Die Languren begeistern mich. Wie putzig diese doch sind. Während des Besuches im EPRC stimmen die Gibbons immer wieder zu ihren melodischen Gesängen an. Der Gibbongesang wird von einem Männchen begonnen, dann stimmen weitere Gibbons im Chor ein, ehe der Gesang von einem Weibchen beendet wird.

Anschließend besuchen wir das Turtle Conservation Center. Asien ist ein absoluter Hotspot der Schildkröten-Biodiversität. Dennoch sind die Schildkröten keineswegs weniger bedroht als Languren. Ebenso wie diese landen sie in Kochtöpfen als Delikatesse oder finden Verwendung in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Somit stehen viele Arten ebenfalls kurz vor der Ausrottung. Aufgrund der eisigen Temperaturen in den letzten Tagen wurden die Schildkröten aus den Gehegen eingesammelt und halten in einer Hütte eine Art Winterruhe.

Nachmittags mieten wir uns dann zwei Mountainbikes, mit denen wir den Cuc Phuong Nationalpark erkunden. Für den Nationalpark haben wir jedoch eindeutig die falsche Jahreszeit gewählt. Jetzt im Winter bei knapp über 10 °C ist weder von der Orchideenfülle noch von den Myriaden von Schmetterlingen etwas zu sehen. Bei einer Steinhöhle, in der die Überreste eines 7.500 Jahre alten Menschen gefunden wurden, kehren wir schließlich um.

In der Dämmerung besuchen wir schließlich noch das Zentrum für Säugetiere und Schuppentiere, die nachtaktiv sind. Für normale Touristen ist dieses Zentrum nicht zugänglich. Im Zentrum werden vor allem Leopardkatzen, Zibetkatzen, diverse Schleichkatzenarten und Schuppentiere gehalten. Von Letzteren bin ich ganz fasziniert. Diese merkwürdigen Geschöpfe, die wie überdimensionierte Tannenzapfen aussehen, erscheinen mir zunächst ziemlich unbeholfen. Mit welcher Eleganz einer dieser Tiere dann jedoch über die Stämme gleitet, verblüfft mich dann aber gewaltig. Es ist immer wieder erstaunlich, welche eigenartigen Geschöpfe sich auf unserer Erde tummeln.

Nach dem Abendessen geht es mit dem Taxi in das Van Long Nature Reserve. Das Hotel, in dem ich einchecke, hat definitiv schon bessere Zeiten gesehen. Leere Gebäude, rieselnder Putz und eine Illumination mit bunten Neonröhren. Insgesamt liegt der Charme meines Heimes der nächsten Tage zwischen dem einer aufgegebenen Sowjet-Kaserne und dem eines Billigbordells. Egal. Das Bett ist warm und sauber.

Praktikum in biologischen Feldstudien (Tag 4, 08.01.2013)

Heute werde ich einen ‚Kurzlehrgang‘ in biologischen Feldstudien erhalten. Zuvor stärke ich mich aber mit einem Frühstück, welches dem Ambiente des Hotels entspricht. Um in die Tiefen des Nature Reserves einzudringen dürfen, muss ich mich zunächst persönlich im Headquarter vorstellen. Mann, ist das eine Prozedur. Der Leiter, zwei Vertreter der Forstbehörde sowie einige weitere Vietnamesen sitzen mit uns zusammen. Es wird etwas Small-Talk betrieben, Grüner Tee getrunken und minutenlang mein Pass und mein Visum studiert. Schließlich ist das Okay da. Nun geht es mit dem Motorbike in das Naturschutzgebiet. Die Szenerie ist fantastisch und macht den Eindruck, als hätte ein chinesischer Landschaftsmaler das Gebiet in diese nordvietnamesische Gegend platziert. Hinter einem ausgedehnten Feuchtgebiet mit wunderschönen Eisvögeln und Scharen anderer Wasservögel wird ein urzeitlich anmutender See von schroffen, nebelverhangenen Kalksteinspitzen eingerahmt. Diese sind der Lebensraum der extrem seltenen Delacour-Languren – eine Art, die mit schätzungsweise 200 in der Wildnis überlebenden Individuen zu den 25. bedrohtesten Primatenarten weltweit zählt. Diesen schwarzen Affen mit ihrem unglaublich langen Schwanz und einer weißen Färbung im Bereich von Hüfte und Po, die irgendwie doch aussehen, als würden sie eine weiße Windel tragen, macht einzig der Mensch zu schaffen. Wir sind es, die diese Art bald ausgerottet haben werden. Wir, die mit 8 Milliarden Individuen verbreiteste Primatenart weltweit. Mit unglaublicher Intelligenz gesegnet haben wir auch den letzten, noch so lebensfeindlichen Winkel der Erde erobert und stellen somit die Hausratte oder Kakerlake der Primatenwelt dar.

Heute bietet sich eine triste Szenerie. Dicke Nebelschwaden hüllen die Limestones wie Watte ein. Dazu Nieselregen und der kalte Fahrtwind, der einem bei der Fahrt auf dem Motorbike entgegenschlägt. Definitiv ist von einem Besuch von Van Long im Januar abzuraten, wenngleich die Reisezeit von März bis Mai ein traumhaftes Ambiente bieten dürfte.

Kleine Pagode im Van Long Naturschutzgebiet. Foto: S. Elser.

Nach einigen Kilometern Fahrt kommen wir an. Vor einigen Wochen wurde ein Delacour-Languren-Paar im Van Long Nature Reserve ausgewildert. Beide Exemplare wurden mit einem GPS-Sender-Halsband ausgestattet. Wir beginnen mit dem Pingersignal. Dies ist wunderbar kräftig, der GPS-Download klappt sofort. Wir versuchen nun, das Affenmännchen zu Gesicht zu bekommen. Über Stunden suchen wir den Fuß des Limestonehangs ab, starren immer wieder in den Nebel hinauf. Jedoch nichts – keine Spur von dem Kerl! Später, nach der Analyse der GPS-Daten, wird sich zeigen, dass das Männchen die ganze Zeit nur 200 m von uns entfernt war.

Am Abend studieren wir die bisherigen GPS-Daten. Das Weibchen war zunächst für einige Tage in der Nähe des Releaseplatzes geblieben, ehe sie sich in großem Tempo aus dem Nature Reserve begeben hat. Nach einigen weiteren Tagen verstummte dann plötzlich das Halsband. Vermutlich erlag die Arme Wilderern, wenngleich auch ein technischer Defekt des Halsbandes nicht auszuschließen ist. Das Männchen bewegt sich hingegen innerhalb eines kleinen Areals, welches vielleicht 2 x 3 km umfasst.

Ein Bootsausflug – oder moderner Kolonialismus (Tag 5, 09.01.2013)

Der Tag fängt sehr bescheiden an. Nachts ist es ziemlich stürmisch geworden. Zudem ist der Wind unangenehm eisig. Zumindest hat sich der Nebel verzogen und es ist etwas wärmer, jedoch weiterhin stark bewölkt. Somit verbringe ich den Vormittag mit Recherchen über Van Long. Später steht das Mittagessen an, danach ist eine Bootsfahrt im Van Long Wetland geplant, vielleicht werden wir dann ein paar Delacour-Languren sehen.

Eine Fahrt auf einem dieser vielen, kleinen Bambusbooten stellt die einzige Möglichkeit dar, den See zu erkunden. Zunächst muss man jedoch ein Ticket an einem kleinen Schalter direkt neben meinem Hotel lösen. Die Preise sind moderat, fast Dritte-Welt-Niveau. So kostet eine über einstündige Fahrt gerade einmal knapp 2 € für das Boot plus 0,50 € pro Person. Auf dem Weg zur Ablegestelle wird man dann von aufdringlichen Vietnamesen belagert, die einem Häkeldecken und alberne, mit kommunistischen Symbolen ‚verzierte’ Strohhüte, welche in den notdürftig, am staubigen Straßenrand aufgebauten Ständen bereitliegen, offerieren.

Wir besteigen das uns zugewiesene Boot und lassen uns von einer schmächtigen Vietnamesin durch das seichte Wasser keuchend voranpaddeln. Trotz 90-minütiger Schwerstarbeit sucht sie mit ihren geschulten Augen unentwegt die nebelverhüllten Steilhänge nach Affen ab, um unsere Sehnsucht zu befriedigen.

Gelegentlich wird unsere Fahrt von eisigen Windböen und blauen Eisvögel gekreuzt, die so farbenprächtig wie Edelsteine sind. Abgesehen davon sind wir alleine. Nicht nur, dass wir die einzigen Menschen auf dem See sind, auch in unseren Hoffnungen. Den Delacour-Languren ist es eben auch zu kalt, so dass sie sich in ihren Höhlen aufhalten.

Beschwipstes Meeting (Tag 6, 10.01.2013)

Ein 'Auswilderungskäfig'. In ihm wurde ein ursprünglich aus dem EPRC stammender Panda-Langur 48 Stunden an seine neue Heimat gewöhnt und anschließend für immer in Freiheit entlassen.

Hier ist es konstant arschkalt, so dass ich bis auf die Knochen durchgefroren bin und gar nicht mehr erkennen kann, ob es morgens 2 °C kälter oder wärmer ist. Allmählich nervt mich das Wetter.

Ich mache eine Pause bei der x-ten Reisschnapsrunde.

Mit zwei Pullis ausgestattet bekomme ich heute meine zweite Lektion in biologischen Feldstudien und praktiziertem Artenschutz. Die zwei zur Auswilderung vorgesehenen Delacour-Languren wurden, nachdem sie einen abschließenden Gesundheitscheck bestanden hatten und mit einem GPS-Sender-Halsband ausgestattet waren, für zwei Nächte zunächst in einem Käfig auf dem Releaseplatz an ihren neuen Lebensraum gewöhnt. Die Auswilderung wurde von einem Fernsehteam begleitet [hier gelangen Sie zu der TV-Dokumentation auf arte], welches unmittelbar neben dem Käfig drei Nächte verbracht hatte.

Leicht beschwipst beim anschließenden Small-Talk.

Pünktlich zum Mittagessen finden wir uns wieder im Headquarter ein. Dort ist bereits ein großes Meeting zur Weiterentwicklung des Naturschutzes im Van Long Nature Reserve zu Gange. Neben dutzenden Vertretern aus der Forstbehörde sowie aus den verschiedenen Provinzregierungen nehmen zwei Tierärzte aus Hongkong sowie Tilo Nadler und seine Frau teil. Tilo Nadler, ein Deutscher, ist der Leiter des ERCP im Cuc Phuong Nationalpark und gilt als der führende Experte über Indochinas Primaten. Nach eine Reihe vietnamesischer Ansprachen, die eine gefühlte Ewigkeit dauern, wird das Meeting durch den gesellschaftlichen Teil abgelöst: Ein eher geschmacklich unterirdisches ‚Festmahl‘ – ein Komposition diverser suspekter bis ungenießbarer Speisen, in Kombination mit einem munteren Reisschnaps-Gelage.

Kurz vor dem Ablegen.

Das Ganze läuft immer nach dem selbem Ritual ab: Zunächst befüllt der Tischbesucher die kleinen Porzellanschälchen zur Hälfte, dann wird angestoßen, der Schnaps auf ex getrunken, sich schließlich die rechte Hand gereicht, sich gegenseitig Dank ausgesprochen und zugeprostet (‚Cam on’). Bis zur dritten Runde mache ich gerne mit, ehe ich doch eine kleine Pause für angebracht halte. Vehement werde ich jedoch aufgefordert, nicht unhöflich zu erscheinen, und erhebe mich schließlich nach der gefühlten zwanzigsten Runde sichtlich beschwipst vom Esstisch.

Direkt vor uns befindet sich der Karstberg, auf dem regelmäßig Delacour-Languren zu sehen sind.

Es schließt sich ein angeregter Gespräch über Indochinas Affen, der Bedrohungssituation und möglichen Schutzmaßnahmen mit Tilo, seiner Frau sowie den zwei Tierärzten an. Sie kommt aus Indien und hat in Malaysia studiert, er ist gebürtiger Italiener. Tilo, ein hagerer Mann, der durch sein Wissen und Auftreten keinerlei Zweifel an seiner Entschlossenheit, zugleich aber auch einer realistischen Sicht der Möglichkeiten, aufkommen lässt, gewinnt im Handumdrehen meine höchste Anerkennung.

Wer wohl den ersten Delacour-Languren entdecken mag?

Bei der anschließenden Bootstour zeigt sich einmal mehr, wie viel ein geschultes Auge wert sein kann. Während Tilo und seine Frau einen Delacourlanguren erspähen, habe ich erneut Pech.

Den Abend lasse ich im Emeralda Resort ausklingen. Nach einer ausgiebigen Tiefenwärme-Anwendung im Indoor-Swimmingpool genieße ich ein köstliches Abendessen bei einer typisch-asiatisch dezenten, zugleich aber auch überaus zuvorkommenden Höflichkeit. Bis auf die Knochen regeneriert begebe ich mich behäbig auf der dunklen Hauptstraße zurück zu meinem nächtlichen Kontrastprogramm. Unterwegs sehe ich durch die offenen Türen der Vietnamesen in deren Wohnzimmer. In einem großen Gemeinschaftsraum befinden sich dicht an dicht flimmernde Fernseher, Esstisch, Kinderbetten und hier und da in einer Ecke der abgestellte Motorroller.

Besser spät als nie (Tag 7, 11.01.2013)

Heute ist dasselbe Mistwetter wie seit Anbeginn meiner Reise. Schweinekalt und bewölkt. Werde ich in Vietnam jemals die Sonne sehen?

Zudem ist heute die letzte Chance, Delacour-Languren zu sehen. Ich fahre also um 9 Uhr erneut im Boot hinaus. Im Nature Reserve treffe ich heute mehrere Fischer. Teils verwenden sie Reusen, teils Netze, in denen sich eine Vielzahl doch relativ großer Barsche verfangen haben. Wir fahren an den Felsen entlang, unentwegt starre ich auf diese und habe die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben, bei diesem Mistwetter einen Affen zu sehen, als sich zu meiner großen Freude dann in ziemlicher Distanz doch noch einer blicken lässt. Ich kann den Affen einige Minuten beim Fressen beobachten, ehe er mit einem großen Satz im Dickicht verschwindet.

Endlich! Mein erster wildlebender Delacourlangur.

Auf dem Weg zum Mittagessen bemerkt man wieder einmal mehr die typische ungleiche Verteilung von Kapital in Emerging Markets. Sah man in Hanoi chic gekleidete Frauen und vereinzelt sogar Oberklasseautos wie einen Porsche Cayenne, so sind die Verhältnisse in der Provinz gänzlich andere. Hier leben die Vietnamesen von knapp über 100 US-Dollar Monatseinkommen und zeigen sehr dürftige Lebensverhältnisse.

Von Van Long komme ich mit dem Taxi in Begleitung der zwei Hongkonger Tierärzte zurück nach Hanoi. Die Taxifahrt gestaltet sich sehr informativ. Neben den zwei Hongkonger Tierärzten ist auch eine deutsche Tierärztin, Ulrike, dabei. Von dieser erhalte ich eine Reihe nützlicher Informationen für meine weitere Reiseroute.

Am Abend genieße ich in Hanoi wieder die Vorzüge der Großstadt. Zunächst besuche ich ein Café, anschließend eine Bar, wo ich mir Hanoi Beer und ein Chicken Curry gönne. Die Bar ist sehr stilvoll eingerichtet. Weinflaschen und moderne Kunst an den Wänden. Holztische, ein altes Weinfass als Dekoration in der Mitte des Raumes. In der schweren Holztüre ist in der Türmitte eine kleine, verschließbare Luke eingebaut, durch die sowohl die Bestellungen als auch die Speisen durchgereicht werden. Direkt oberhalb der Bar ist eine Leiste mit einer Vielzahl an Löchern angebracht, in welche die Weinflaschen leicht nach unten geneigt eingehängt werden. Mit den englischen Gästen könnte sich die Bar ebenso in London befinden.

Relaxen (Tag 8, 12.01.2013)

Die letzten Tage haben mich doch etwas geschlaucht und da mein bereits gebuchter Inlandsflug erst morgen geht, mache ich mir heute einen ganz geruhsamen Tag in Hanoi. Auf dem Weg zum Frühstückscafé fällt mir an der Straßenecke ein kleiner Laden auf, aus dessen Schaufenster mir eine in Alkohol eingelegte Kobra entgegenstarrt. Dieser Schlangenwein (vietnamesisch: rouo rau) gilt in der Traditionellen Chinesischen Medizin als Allheilmittel.

Noch nicht überall ist der wirtschaftliche Aufschwung Vietnams angekommen. Vor allem im Hinterland sind Wasserbüffel noch weit verbreitet. Foto: S. Elser.

Nach ein paar Einkäufen nachmittags, esse ich zu Abend im Green Mango. Es handelt sich um einen länglichen Raum mit gedämpftem Licht. Die Träger der Decke sind mit dunkelroten Seidenvorhängen verdeckt. Vervollständigt wird das Gesamtbild von dezenter Musik. Das Personal ist überaus aufmerksam und zuvorkommend und das Essen ist erstklassig. Zunächst erhalte ich eine Hühnersuppe mit Kokosmilch, Zitronengras und Koriander. Danach gebratenes Rindfleisch mit Mungobohnenkeimlinge und Reisnudeln.

Nun lasse ich den Abend mit einem Buch in einem proppenvollen Café ausklingen. Ich nehme den einzigen freien Tisch in einer Ecke. Alle anderen sind bereits durch vietnamesische Jungs, von denen man meinen könnte, dass jeder seine Frisur von einer anderen Seite einer Modezeitschrift übernommen hätte, und Mädels, die vor dem Schminken noch hundert Gramm leichter waren, besetzt. Zunächst werde ich vom Kellner übersehen, ehe ein netter vietnamesischer Junge diesen auf meine Anwesenheit aufmerksam macht. In den letzten Tagen ist es das vierte oder fünfte Ereignis, welches mich an meiner ursprünglichen Meinung zweifeln lässt. Die Vietnamesen, welche im Tourismus beschäftigt sind, lassen keine Gelegenheit aus, den einen oder anderen Dong zu ergaunern. Die ‚normale’ Bevölkerung zeigt sich hingegen freundlich und hilfsbereit.

Enormes Glück mit einer Dreierbande (Tag 9, 13.01.2013)

Ohne Frühstück geht es mit dem Taxi zum Hanoi Airport. Dort bin ich angesichts des Chaos kurz überfordert. Letztlich klappt aber alles problemlos. Mit Jetstar fliege ich in knapp über einer Stunde nach Da Nang. Am Flughafen ist mir aufgefallen, dass die Flughäfen meist zweistöckig sind. Unten sind die Ankünfte, oben die Abflüge. Entsprechend wechsle ich nach meinen negativen Erfahrungen am Ankunftstag die Etage und steige in ein Taxi, mit dem ein Vietnamese gerade zum Flughafen gekommen ist. Wer soll sich auskennen, wenn nicht die Vietnamesen?

In Da Nang checke ich im Eena Hotel ein. Dies ist ein günstiges und schnuckelig-kleines Haus. Zudem stellen sie kostenlos Fahrräder zur Verfügung. Ich nehme eins und mache mit diesem einen Abstecher zur nahe gelegenen Son Tra – Halbinsel. Vor ein paar Tagen bekam ich von Ulrike den Tipp, mich auf dieser nach zwei Affenarten und den letzten Resten Küstenregenwald umzusehen.

Leider ist mir das Fahrrad viel zu klein und verfügt über nur einen funktionierenden Gang. Nach etwa 12 km Steigung resigniere ich und fahre zurück. Ich tausche mein Fahrrad gegen eine Tagesmiete für 4 € gegen einen Motorroller ein. Zwar bin ich so ein Ding noch nie gefahren, wird aber doch nicht so viel schwerer sein als Fahrradfahren. Nach einer dreiminütigen, theoretischen Fahrstunde besteige ich das Gefährt und rolle erst einmal wacklig zur nächstgelegenen Tankstelle.

Mit jedem zurückgelegten Kilometer verbessern sich meine Fahrkünste und ich erreiche die Halbinsel. Auf dem Weg zum Gipfel begegnen mir mehrmals Makaken. Leider sind diese sehr scheu und verschwinden sofort im Wald sobald man anhält.

Bei dem Rotschenkligen Kleideraffen (Pygathrix nemaeus), handelt es sich um eine stark gefährdete Primatenart Zentralvietnams. Foto: S. Elser

Auf dem Rückweg habe ich dann aber enormes Glück. Völlig unerwartet entdecke ich eine Kleinfamilie Rotschenkliger Kleideraffen (Pygathrix nemaeus) – ein ganz seltener Glücksfall. Die Dreierbande lässt sich sicherlich zehn Minuten beobachten und ich schieße unzählige, schöne Fotos. In den Baumwipfeln schieben sie sich genüsslich ein Blatt nach dem anderen in den Mund. Nach einigen Minuten haben sie aber genug von mir und beschließen sich davonzumachen. Erst geht es von Baum zu Baum, dann endet jedoch der Wald an einem Hang und setzt sich erst nach einigen Metern deutlich tiefer fort. Das Männchen nimmt Anlauf und springt. Ruhig, mit voran gestreckten Armen gleitet es durch die Luft und landet sicher auf dem nächsten Baum. Nun ist der Nachwuchs dran. Auch er nimmt Anlauf und springt. Doch rudert er in der Luft wild mit den Armen und Beinen und erhascht gerade so den nächsten, kleinen Ast.

Schließlich begebe ich mich auf eine Rundfahrt, um noch möglichst unberührten Küstenregenwald mit Epiphyten zu sehen. Immerhin bin ich schon ganz heiß auf meine erste Orchidee. Leider finde ich aber keinen intakten Regenwald, sondern vielmehr Spuren der Zerstörung: neue Straßen, Hotelrohbaue sowie massenhaft ein invasives Klettergewächs (Merremia peltata).

Morgen früh will ich noch einmal nach den Makaken schauen, danach sollte ich mich aber nach einem Ausflug nach My Son sowie nach einem Easy Rider umschauen.

Cao Lau (Tag 10, 14.01.2013)

Die Brücke in Hoi Ans Zentrum. Foto: S. Elser.

Heute bin ich zeitig aufgestanden, schließlich sollen Affen ebenfalls keine Morgenmuffel sein. Das Frühstück ist mit Spiegelei, Brot und Mangostanen – eine Frucht, die ich nahezu vergöttere, sehr ordentlich. Anschließend fahre ich mit dem Motorroller nochmals auf die Son Tra Peninsula hinaus. Obwohl ich um 8 Uhr vor Ort bin, sehe ich heute keinerlei Affen. Dafür aber meine erste Orchidee! Wahrscheinlich eine Art aus der Gattung Habenaria mit hübschen, weißen Blüten.

Viele Häuser in Hoi An sind mit Lampions geschmückt. Foto: S. Elser.

Um im Zeitplan zu bleiben, habe ich beschlossen nach Hoi An zu fahren. Schließlich muss ich noch einen Trip nach My Son und einen Easyrider, der mich in den Yok Don – Nationalpark fährt, organisieren. Ich habe Glück. Mein Xe om – Fahrer, der sich selbst Henry nennt, stellt sich später als Easyrider heraus. Schließlich einigen wir uns für 160 USD über eine Fahrt in den Yok Don – Nationalpark mit Abstecher in My Son. Dafür werden wir zwei Tage brauchen.

Eine mit Lampions geschmückte Brücke im Zentrum Hoi Ans. Foto: S. Elser.

Danach erkunde ich Hoi An. Durch die Stadt fließt ein Fluss, dessen Südufer von einer palmenbesetzten Promenade gesäumt ist und an dessen Nordufer sich eine verwinkelte Altstadt anschließt. Am Flussufer stehen dicht an dicht gelbe Häuser, deren Fassaden mit den angebrachten roten Lampions kontrastieren.

In Hoi An. Foto: S. Elser.

Im Mittelalter war Hoi An eine bedeutende Hafenstadt, von der viel Handel unter anderem mit China betrieben wurde. Die Altstadt mit ihren unzähligen kleinen Häusern und verwinkelten Gassen ist immer noch gut erhalten. Nur zwängen sich heutzutage Horden von Touristen durch die Gassen. Diese ziehen natürlich die entsprechenden Geschäftemacher an. Auf Schritt und Tritt wird man wie das goldene Kalb belagert. Überwiegend handelt es sich bei den Wegelagerern um Frauen, teils sind es aber auch kleine Mädchen. Letztlich eine grauenvolle Angelegenheit.

Restaurant in Hoi An, untergebracht in einem historischen Gebäude. Foto: S. Elser.

Ich esse zu Mittag im Morning Glory. Die gebratene Entenbrust mit Bananenblüten und viel Gemüse setzt nochmals ein ganz dickes Ausrufezeichen hinter die Exzellenz der vietnamesischen Küche.

Abends genieße ich dann den zweiten kulinarischen Höhepunkt des Tages im Vinh Hang Restaurant. Manche Gerichte werden nur sehr regional, selten in nur einer Stadt hergestellt, da es andernorts an der passende Zutat fehlt. Ein solches Gericht ist Cao Lau. Dieses Nudelgericht wird nur in Hoi An zubereitet. Zu den ganz besonderen Reisnudeln werden fein geschnittenes Schweinefleisch, viele Sojabohnensprossen, Salatblätter und Kräuter sowie eine Vielzahl an Soßen hinzugegeben.

Höllenritt zur Cham-Dynastie (Tag 11, 15.01.2013)

Tempel in Hoi An. Foto: S. Elser.

Wie vereinbart holt mich Henry im Hotel Punkt 7 Uhr ab. Die Fahrt ist für mich Premiere, saß ich in Deutschland noch nie auf einem Motorrad. Zunächst habe ich vollstes Vertrauen in Henry – einem kleinen Vietnamesen Mitte Fünfzig, der immer lächelt und trotz eines gebrochenen Englisch nahezu immer redet. Doch bereits nach wenigen Kilometern auf dem Highway entwickelt sich die Fahrt für mich zum Höllenritt. Bei Tempo 90 presse ich meinen Hintern fest auf den Sitz des Motorrads. Die Finger umkrallen den Griff hinter mir bis sie schmerzen. Ich sterbe tausend Tode, ehe wir in My Son ankommen. Erst mal tief durchatmen. Nachdem ich den Eintritt von 100.000 Dong gezahlt habe, kann ich erst einmal relaxen. Ich genieße in vollen Zügen die romantische Szenerie von My Son. Um 8 Uhr bin ich der erste Tourist hier und habe somit die Tempel, die mittlerweile vom Wald zurückerobert werden und teils dicht mit Flechten und anderen Gewächsen benetzt sind, für mich alleine. Bei angenehmen Temperaturen schwirren große, farbenprächtige Schmetterlinge zwischen den beeindruckenden Ruinen umher. Die einzelnen Gebäudegruppen werden teilweise durch kleine Bäche voneinander getrennt und bunte Fasanenarten verschwinden im Dickicht des Waldes, ehe ich noch mein Teleobjektiv zücken kann.

Die Japanische Brücke in Hoi An. Foto: S. Elser.

Ich finde die Ruinen der alten Chamkultur beeindruckend. Wie sie immer noch, obwohl sie großteils beschädigt sind, in den Lichtungen des Waldes vor einem unvermittelt und mächtig erscheinen.

Um 9 Uhr beginnen sich allmählich weitere Touristen in My Son zu sammeln und ich mache mich auf den Rückweg. Schließlich liegen heute noch 300 km Easyrider-Höllentrip vor mir. Die Fahrt geht zunächst über asphaltierte Feldwege – vorbei an unzähligen Reisfeldern und einer farbenprächtigen Leichenprozession ehe wir einen großen Fluss erreichen, den wir vergleichbar mit Borneo zusammen mit einer Reihe weiterer Motorbikes auf groteske Weise mit einer Holzfähre überqueren. Hier, weit weg von den klassischen Routen erwecke ich sofort das asiatische, leicht verlegene und zurückhaltende Interesse einer Gruppe Jugendlicher.

Am anderen Ufer setzen wir unsere Fahrt fort. Mittlerweile habe ich mich mit dem Trip einigermaßen arrangiert. Über eine ebenso wilde wie interessante sowie wackelige Eisenseilhängebrücke unternehmen wir einen Abstecher zu einen der vielen Bergvölkerdörfer in dieser Gegend. Deren Aufgeschlossenheit und Gastfreundschaft springt einem sofort ins Auge. Als ich durch das Dorf schlendere werde ich von einer Familie vehement gebeten, mich zu diesen zu gesellen. In gebrochenem Englisch und einem noch viel schlechteren Vietnamesisch unterhalten wir uns bei frisch gekochtem Essen und selbst gebranntem Reisschnaps. Derweil hält sich Henry dezent im Hintergrund und tritt gelegentlich nur kurz als Dolmetscher in Erscheinung.

Der Weg setzt sich nun weiter in das Gebirge hinfort. Zunächst wird die Landschaft durch Reisterrassen, Ananas- und Bananenplantagen geprägt. Später geht die Landschaft zunehmend in dichten Wald über, malerisch ergießen sich einige Wasserfälle am Straßenrand. Auf dem Pass ist es merklich kühler, befinden wir uns doch auf etwa 1.800 m über NN. Die höchsten Gipfel sind durch dicke Wolken verhüllt. Nun geht es wieder bergab. Mit zunehmender Fahrt verliere ich meine Furcht, mich demnächst im nächsten Provinzkrankenhaus oder in den Heute-Nachrichten als deutsches Todesopfer im Vietnam wieder zu finden. Vielmehr beginne ich auch die Fahrt zu genießen. Nach der Überquerung des Passes ändert sich die Umgebung merklich: Die Wälder sind verschwunden. Ob es eine Folge des Einsatzes des Entlaubungsmittels Agent Orange durch die Amerikaner während des zweiten Vietnamkrieges oder schlicht eine Abholzung aus wirtschaftlichen Interessen ist, erschließt sich mir nicht. Jedenfalls zeigen sich nur noch kahle Hügel, unterbrochen von meterhohem Pampasgras und Reisterrassen.

Schließlich erreichen wir ein weiteres Bergvolkdorf. Eines der Bahmer. Charakteristisch ist deren rong-Haus (nha rong). Bei diesem handelt es sich um ein großes reetbedachtes Haus auf Stelzen. Gewissermaßen ist es eine Art Gemeindehalle, welches zu Hochzeiten, Feste und Gebete benutzt wird. Ich fotografiere zunächst ein schüchternes, mit ihrem Augenaufschlag aber auch aufforderndes Mädchen, das mit der Verarbeitung von Schilf beschäftigt ist. Im nächsten Moment mache ich im Vorgarten jedoch eine erschütternde Entdeckung. Angekettet an einen Baum rennt ein Makake stupide von links nach rechts und wieder zurück. Wir sind wieder einmal unvermittelt beim Thema Naturschutz angelangt.

In Dak To machen wir noch kurz Halt bei einem Kriegsdenkmal. Während des Vietnamkriegs standen sich hier die Fronten direkt gegenüber. Die Region war heiß umkämpft, tausende Menschen starben oder flüchteten.

Schließlich erreichen wir bei Finsternis Kon Tum. Dessen Ortsanfang mit seinen Straßenlaternen, die alle paar Sekunden aufgeregt ihre Farbe ändern, unterstreicht einmal mehr die vietnamesische Affinität zum Kitsch. Ausgehungert nehmen wir gemeinsam ein schlechtes Dinner zu uns. In der Provinz sind die Tischmanieren besonders schlecht: Es wird geschlungen, abgenagte Knochen unter den Tisch geworfen und die fettigen Hände an der Hose abgeputzt. Geschafft und dankbar ob der vielen gesammelten, intensiven Eindrücke falle ich nach einer ausgiebigen Dusche ins Bett.

Der Weg ist das Ziel (Tag 12, 16.01.2013)

Heute ist der zweite Tag des Easyridertrips. Der Tag beginnt mit einem guten Omelett zum Frühstück. Dann machen wir uns auf den Weg zum Yok Don – Nationalpark über Buon Ma Thuot. Unterwegs halten wir zunächst an einem kleinen Haus, wo Henry mir diverse tropische Nutzpflanzen wie Pfeffersträucher, Mangobäume und Kaffeesträucher zeigen möchte.

Nun läuft Henry geradlinig in den großen Garten hinter dem Haus, die Hunde fangen an zu bellen und der Hausbesitzer gesellt sich dazu. Nachdem dieser aber unvermittelt mit uns ein Gespräch anfängt und uns stolz in seinem Garten herumführt, wird mir klar, dass ich soeben als einziger etwas irritiert bin. Ganz offensichtlich besteht zwischen Vietnamesen und Deutschen diesbezüglich ein feiner Mentalitätsunterschied.

Wieder geht es entlang an Kaffee-, Pfeffer- und Kautschukplantagen. Unterwegs machen wir Halt an einer Kautschukplantage. In dieser stehen die Kautschukbäume aufgereiht wie die Orgelpfeifen. In Brusthöhe wurde die Rinde zur Hälfte angeritzt und der zähe Saft rinnt in Zeitlupentempo in eine angebrachte halbierte Kokusnussschale. Nun sehe ich mich in der angrenzenden Pfefferplantage um und erschrecke fast zu Tode, als ein meterhoher Strauch zu rascheln beginnt und ein verhaltenes Kichern erklingt. Im nächsten Moment erscheinen dann ein Strohhut und hierauf das Gesicht einer älteren Vietnamesin, welches eine exotisch anmutende Mixtur aus Aufgeschlossenheit und asiatischer Zurückhaltung vermittelt.

Je mehr wir uns Buon Ma Thuot nähern, desto langweiliger wird die Landschaft. Beiderseits der Straße erstreckt sich gerodetes Brachland, die Straßenränder gleichen einer Müllhalde, hier und da lodern kleine Buschbrände, ohne dass sich jemand an diesen stören wollte.

In Buon Ma Thuot verfährt sich schließlich Henry auch noch, so dass wir uns auf einen etwa 30 km Umweg begeben. Mein Hintern schmerzt ohnehin schon, so dass meine Laune deutlich sinkt. Schließlich nähern wir uns dem Nationalpark. Henry fährt geradlinig das Ban-Don-Touristendorf an und ist wohl auch schon etwas genervt. Dort will er mich in völliger Dunkelheit absetzen. Ich melde meine Zweifel an, ob wir dort richtig sind, und erkundige mich erst einmal. Natürlich handelt es sich nicht um das Touristenzentrum des Yok-Don – Nationalparks. Dieses befindet sich 4 km weiter südlich, wo mich Henry dann auch hinfährt. Bereits an der letzten Abzweigung überkommen mich Zweifel, als sich dort ein jämmerlicher Jahrmarkt befindet. Die Siedlung, in der sich das Touristenzentrum befindet, macht auf mich einen erbärmlichen Eindruck. Zwar handelt es sich um die typischen Pfahlbauten der Mnong. Die Hütten sind teils als Souvenirläden, teils als Restaurants ausgebaut. Zunächst lässt sich niemand im Dorf auftreiben, der auch nur ein Wort Englisch spricht. Zu meinem Glück begegne ich letztlich einer Dreierbande Franzosen: Jules, Richard und Ann. Nach deren Bekenntnis seien sie derzeit die einzigen Touristen im Dorf.

Nun bin ich hin- und hergerissen. Viele hatten mir bereits von einem Besuch im Yok Don – Nationalpark abgeraten. Nach meinen ersten Eindrücken kann ich diese Skepsis nur zu gut verstehen. Die Landschaft ist öde, es handelt sich um eine gerodete Savanne, die zudem total vermüllt ist. Die Hoffnung, hier die nächsten Tage interessante Tiere zu sehen, ist vor Ort quasi vaporisiert. Zudem quält mich die Ungewissheit, wie ich jemals von diesem suspekten Ort wieder abreisen soll.

Andererseits sind mir die Franzosen sehr sympathisch. Sicher hätten wir diesen Abend viel Spaß gehabt. Etwas Gesellschaft würde mir auf meinem Solotrip gut bekommen. Als mich schließlich ein streunender Hund anbellt, fällt angesichts meiner nicht vorhandenen Tollwutimpfung die Entscheidung. Ich werde mit Henry noch diese Nacht zurück nach Buon Ma Thuot fahren. Meine Zeit im Vietnam ist sicherlich im Cat Tien – Nationalpark gewinnbringender investiert. Der Yok Don – Nationalpark mag eventuell für einen organisierten Tagesausflug interessant sein – selbst das bezweifle ich jedoch, sofern die Ansprüche über das Reiten eines domestizierten Elefanten hinausgehen. Für einen Besucher, der auf eigene Faust reist, ist der Nationalpark jedoch ein ziemliches Fiasko. Vor Ort mangelt es an jeder Infrastruktur. Keine Karten, keine Flyers, kein englischsprachiges Personal. Nach den ersten Eindrücken besteht zudem auch keine realistische Chance, die möglicherweise vorhandene Fauna zu Gesicht zu bekommen. Von einem Besuch kann ich daher jedem Individualreisenden nur abraten.

Bei völliger Finsternis fahren Henry und ich nun zurück. Wir fahren über eine Landstraße, die vermeintlich nur aus Schlaglöchern besteht. Zu allem Überfluss beleuchtet der Hondascheinwerfer die Straße nur sehr spärlich. Bei Tageslicht ist Henry jedem Schlagloch gekonnt ausgewichen, nun nehmen wir mindestens jedes dritte mit. Zum Glück erahne ich einen kleinen Grand Canyon noch gerade rechtzeitig und kralle mich mit aller Kraft am Bike fest, so dass ich glücklicherweise gerade so nicht vom Motorrad falle. Eine Stunde später erreichen wir Buon Ma Thuot. Inzwischen – nach insgesamt 680 km in zwei Tagen – fühlt sich mein Hintern an, als hätte ich das Ufer gewechselt. Ich gebe Henry die restliche Rate und unsere Wege trennen sich, wenn auch mit etwas Wehmut meinerseits. Mit Henry hatte ich als Easy Rider sehr viel Glück. War immer bester Laune, nie von meinen vielen Fragen genervt. Er glänzte durch Ortskenntnis, erspürte meine Interessen und überraschte mich bisweilen.

Dennoch bin ich ein wenig frustriert. Der Tag war zum Schluss doch ein Schuss in den Ofen und ich komme zu der Erkenntnis, dass manchmal doch der Weg das Ziel ist. Eine Easyrider-Tour lässt sich nur empfehlen. Ich bin überzeugt, dass sich mit keiner anderen Reiseoption das Land so intensiv erfahren lässt, wenngleich qualitativ der gestrige Tag sicher der bessere war.

Verrückte Impressionen in einem skurrilen Haus (Tag 13, 17.01.2013)

Als nächstes Reiseziel steht auf meiner Liste der Cat Tien Nationalpark, welcher deutlich südlicher liegt. Nur habe ich heute Morgen keinerlei Ahnung wie ich dorthin kommen soll. Also gehe ich erst einmal in Ruhe frühstücken und suche anschließend das Reisebüro Daklak Tourist auf, welches mir Henry gestern Abend noch mit diesen Worten empfohlen hat: „Dort könnten sie Englisch und Deutsch (?) und sie würden mir ein OpenTour – Ticket verkaufen, mit dem ich problemlos zum Cat Tien – Nationalpark kommen würde.“ Ich bin aber skeptisch, da jedoch das Reisebüro auch im Lonely Planet Erwähnung findet, versuche ich mein Glück. Die Ernüchterung folgt prompt. Das Personal spricht nur gebrochen Englisch und empfiehlt mir die Weiterfahrt mit öffentlichen Bussen, was mein eigentlicher Plan B war. Nach den Erfahrungen in Hanoi schätze ich die Möglichkeiten, vor Ort den richtigen Bus, der am Cat Tien – Nationalpark vorbeifährt, als sehr gering ein und entschließe mich für die sichere Variante, auch wenn ich dann wahrscheinlich einen Tag verlieren werde. Ich werde zunächst nach Da Lat fahren und dort dann sehen wie es weitergeht. Ich nehme mir zunächst ein Taxi und halte dem Taxifahrer, der kein Wort Englisch spricht, die zuvor herausgeschriebene Adresse des Busbahnhofs unter die Nase. Unterwegs fahren wir an den Franzosen von gestern vorbei. Auch diese sind inzwischen in Buon Ma Thuot angekommen und sind offensichtlich auf Motorrollern unterwegs, welche sie in Saigon angemietet haben. Zum Glück sind die Verhältnisse auf dem Busbahnhof wesentlich beschaulicher als in Hanoi, so dass ich problemlos ein Ticket nach Da Lat für 110.000 Dong erwerben kann. Leider wird der Bus erst in 90 Minuten starten, so dass ich mir den zweiten Kaffee für heute gönne. Dieser ist mehr als ausgezeichnet, hat eine herrliche schokoladenartige Nuance, so dass ich mir für nicht einmal ein Euro pro 500 g – Päckchen am liebsten einen Jahresvorrat zulegen würde. Aber leider findet in meinem Rucksack nur noch ein Päckchen Platz.

Nachdem ich mir zwei weitere Kaffees gegönnt habe, starten wir. Der Weg erstreckt sich zunächst entlang von Reisfeldern und führt in die Berge hinauf. Der Bus rast die Serpentinen entlang, die von ausgedehnten Kaffeeplantagen gesäumt werden, ehe sich kurz vor Da Lat schöne Pinienwälder erstrecken. Nach fünf Stunden erreichen wir endlich Da Lat und ich fühle mich wie ein Milkshake. Am Busbahnhof angekommen nehme ich mir ein Xe om, dessen Fahrer ebenfalls ein Easyrider ist. Er setzt mich an einem billigen Hotel ab und wir einigen uns auf einen Trip nach Cat Tien, der mich nach harten Preisverhandlungen 1 Mio. Dong kosten wird.

Bereits die Pinienwälder vermittelten den Eindruck, sich irgendwie nicht mehr im Vietnam aufzuhalten. Aber auch Da Lat ist so ganz und gar nicht vietnamesisch. Im zentralen Bergland gelegen wurde Da Lat erst 1912 durch französische Kolonialherren als Sommersitz gegründet, um der schwülen, warmen Luft tieferer Gegenden entfliehen zu können. Das Stadtbild ist auch heute noch von vielen französischen Kolonialbauten geprägt.

Ein ganz besonderes Gebäude in Da Lat ist das erst 1990 von der vietnamesischen Designerin Dang Viet Nga, eine Tochter des zweiten vietnamesischen Präsidenten – Truong Chinh, entworfene Hang Nga-Haus, welches besser als das Crazy House (‚verrückte Haus’) bekannt ist.

Natürlich lasse auch ich mir einen Besuch nicht entgehen (Eintritt 35.000 Dong). Was ich erlebe macht mich nahezu sprachlos. Angesichts der skurrilen Komposition aus versteckten Räumen, Höhlen und Türmen, verbunden über verschlungene Gänge und Treppen, deren Windungen und Enden nicht vorhersehbar sind, und eingerichtet mit grotesken Möbeln und Gestaltungselementen, bin ich einfach perplex. Die Gebäudewände werden einerseits durch knorrige Bäume wiederholt unterbrochen und andererseits durch ein alles überspannendes Spinnennetz verbunden. Klare Formen und Geometrien werden ebenso wie dezente Farben vermieden. Mehr als zwei Stunden erlangt die verrückte Mixtur meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit.

Danach schlendere ich über den Markt, bestaune das bunte Treiben und mache mal da, mal dort an einem kleinen Imbissstand halt. Auch kulinarisch lässt sich die französische Gründungsepoche nicht verkennen.

Auf dem Weg zu einem Restaurant am zentral gelegenen Xuan-Huong-See begegnet mir schließlich aber doch noch etwas typisch Vietnamesisches: Eine Karaoke-Bar. Nun, Vietnamesen haben eine große Liebe zur Karaoke, nahezu jedes Dorf hat mindestens einen Schuppen aufzubieten. In größeren Städten finden sich oft einige Läden in nur einer Straße. Die jüngeren Vietnamesen gehen dort einfach so hin oder aber zum Beispiel, um dort ihren Geburtstag zu feiern. Die Liebe zur Karaoke scheint wie die Affinität zum Kitsch ein typisches Klischee über Asiaten zu sein. Ganz ähnliche Eindrücke habe ich bereits in Indonesien gewonnen. Überaus sonderlich ist der Musikgeschmack der Jugend. Allerorten ertönt eine merkwürdige symbiotische Mixtur aus Techno und Volksmusik.

Bad luck (Tag 14, 18.01.2013)

Tin Tin, mein zweiter Easyrider.

Das Hotel ist mit 5 € zwar spottbillig, jedoch ohne Frühstück, so dass ich mich in das benachbarte Café begebe, wo ich auf Tin Tin warte. Ich trinke mal wieder einen typischen vietnamesischen Kaffee. Dieser ist meist so stark, dass er Tote zum Leben erwecken könnte. Daher wird er in Vietnam mit eingedickter, gesüßter Kondensmilch getrunken, die als zähe Pampe langsam aus einer Blechdose in meinen rabenschwarzen Kaffee tropft. Tin Tin ist der Easyrider von gestern. Auf den ersten Blick war er mir sympathisch. Er ist 31 Jahre alt und ehemaliger Englischlehrer, arbeitet jetzt aber als Easysrider, um mehr von seinem Land zu sehen.

Zunächst besuchen wir einen von Pinienwäldern umgebenen Stausee bei Da Lat. Danach geht es zu einem sehr schönen Wasserfall, der nur einige Kilometer entfernt liegt. Wie alles in Vietnam ist auch dieser hübsch-touristisch erschlossen. Nationalparks werden wie Yok Don zu Vergnügungsparks umgebaut und ein Wasserfall im Pinienwald mit einer Seilbahn, die vom Tal zum Wasserfall hinaufführt, und einer Achterbahn direkt durch den umliegenden Wald aufgewertet.

Ich mit unserem Motorrad.

Initial geht die Fahrt durch den schönen Pinienwald weiter, ehe sie vorbei führt an ausgedehnten Gemüse- und Gladiolenfeldern. Man kommt sich vor, als würde man soeben Europa bereisen. Wir machen Rast zum Kaffeetrinken. Das Café besitzt einen tollen Ausblick auf einen weiteren Wasserfall. Tin Tin und ich unterhalten uns angeregt. Er erzählt mir unter anderem die Entstehung der Easyrider. 1992, nach der Öffnung Vietnams dem Westen gegenüber, begannen Einheimische Touristen in Da Lat zunächst mit ihrem Motorbike vom Busbahnhof zum Hotel zu fahren, später zu den örtlichen Sehenswürdigkeiten. Mit der Zeit wurden die Touren immer ausgedehnter, die Easyrider waren geboren. Den Namen erhielten sie von amerikanischen Touristen in Anlehnung an einen amerikanischen Film.

Landschaft kurz vor dem Cat Tien Nationalpark.

Unterwegs fotografiere ich noch eine Horde Wasserbüffel, ehe wir erneut Rast machen, um etwas Zuckerrohrwasser zu trinken. Wir liegen relaxt in unseren Hängematten, wie es in einem vietnamesischen Straßencafé üblich ist, und unterhalten uns erneut. Nun bin ich leider kurzfristig etwas zerstreut. Nach etwa 3 km Fahrt bemerke ich, dass ich meinen Rucksack, in dem sich meine Spiegelreflexkamera befindet, vergessen habe. Obwohl wir sofort zurückfahren, ist – wie ich befürchtet hatte – mein Rucksack weg. Die Gäste und das Personal zeichnen sich durch maximale Gleichgültigkeit aus. Einzig ein kleines Mädchen nimmt Stellung und meint, dass der Vietnamese, welche neben uns in der Hängematte lag, nach unserer Abfahrt selbst hastig aufgebrochen sei. Tin Tin versucht sein Glück im benachbarten Dorf und klappert dort die kleinen Elektroläden ab.

Zusammen mit einem holländischen Ehepaar überquere ich den Fluss vor dem Cat Tien Nationalpark.

Das ist jedoch ein aussichtsloses Unterfangen, da sich in alle Himmelsrichtungen hunderte, wenn nicht gar tausende kleine Läden befinden. Ich bin demoralisiert. Nicht der Verlust meiner Kamera, die ersetzbar ist, sondern der Verlust aller bislang geschossenen Fotos, die sich auf der SD-Karte befinden, schmerzt mich zutiefst. Zwar werden die Erinnerungen bleiben, aber die Erinnerungshilfen sind weg. Die Fotos vom EPRC, von Van Long, von dem Delacour-Languren, welchen wir nach drei Tagen Suche schließlich entdeckten, von meiner Bekannten und ihrer Arbeit, von der süßen Dreierbande Rotschenkliger Kleideraffen, von der Holzfähre und dem netten vietnamesischen Jungen, von dem menschenleeren My Son mit seinen bunten Schmetterlingen, von den Franzosen in Yok Don, die Bilder vom Crazy House, sowie weitere hunderte „normale“ Urlaubsbilder. All dies ist weg – verloren.

Ich bin betrübt. Es ist nicht meine erste Reise in ein fernes Land, immer habe ich aufgepasst. War gar übervorsichtig. Und dann bin ich derart schusselig. Vergesse gedankenversunken meine wichtigste Reiseutensilie. Nun ja, Menschen machen Fehler. Jetzt hat es mich getroffen. Richtig schwer getroffen.

Am gegenüberliegenden Ufer befindet sich der Cat Tien Nationalpark.

Wir sitzen erneut im Café, ich rauche und denke nach. Über verschüttete Milch lohnt sich nicht zu weinen. Daher kaufe ich mir im nächsten Elektroladen eine Kompaktkamera, um die nächsten Tage noch ein paar Fotos schießen zu können. Schweigend setzen wir unsere Fahrt in den Cat Tien – Nationalpark fort.

Vor dem Nationalpark verläuft ein Fluss, der mit einem Boot überquert werden muss. Im Park buche ich mir einen kleinen, netten Bungalow und für morgen eine Tour in das Primatenzentrum.

Nachts sitze ich in Ermangelung einer vorhandenen Sitzgelegenheit auf dem Holzfußboden meiner kleinen Veranda des Bungalows in dem romantischen LED-Licht meiner Taschenlampe. Ich bin in Gesellschaft einer Tiger Beer – Dose und lausche dem vielstimmigen Gezirpe aus dem Wald. Dieses wird immer wieder vehement von Fetzen der merkwürdigen Volksmusik-Techno-Mixtur unterbrochen, die vom gegenüberliegenden Flussufer zu mir hinüberwabern. Aber auch das ertrage ich tapfer.

Entschieden (Tag 15, 19.01.2013)

Überfahrt zur Insel des Dao Tien Endangered Primate Species Centre im Cat Tien Nationalpark.

Nach dem Frühstück breche ich zur gebuchten Tour in das Primatenzentrum (Dao Tien Endangered Primate Species Centre) auf. Dieses liegt auf einer Insel und ist nur per Boot zu erreichen. Eine Engländerin, die hier ihre Diplomarbeit macht, übernimmt die sehr informative Führung durch das Primatenzentrum. In gewisser Weise sind die Verhältnisse ähnlich wie im EPRC im Cuc Phuong Nationalpark, nur dass sich dieses Zentrum auf vier lokal vorkommende Affenarten spezialisiert hat. Während der zweistündigen Führung wird sehr viel Hintergrundwissen zu Indochinas Primaten, deren Gefährdung und Schutz vermittelt.

Führung im Dao Tien Endangered Primate Species Centre.

Unterwegs schieße ich immer wieder Fotos mit meiner gestern erworbenen Kompaktkamera. Welch himmelweiter Unterschied zu meiner Spiegelreflexkamera mit Teleobjektiv. Ich hadere, eigentlich wollte ich noch zwei Tage im Cat Tien Nationalpark verbringen, eine Tour zu einer wildlebenden Gibbongruppe und zum Crocodile Lake, in welchem es Siam-Krokodile geben soll, unternehmen. Der weitere ungefähre Reiseplan sah noch einen Besuch der Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon) und anschließend die Weiterreise entweder ins Mekong-Delta, nach Kambodscha oder in den Phu Quoc Nationalpark vor.

Im Dao Tien Endangered Primate Species Centre werden vor allem Südliche Gelbwangen-Schopfgibbons (Nomascus gabriellae), hier ein Weibchen, zur Auswilderung vorbereitet.

Angesteckt durch den Artenreichtum Vietnams hatte ich ohnehin beschlossen, in einigen Jahren das Land nochmals zu bereisen. Viele interessante Ziele, wie zum Beispiel einige Nationalparks in Nordvietnam, die Halong-Bucht, die Kaiserstadt Hue und eine Fahrt mit der vietnamesischen Bahn, konnte ich bei dieser Reise zeitlich ohnehin nicht unterbringen. Nach reiflicher Überlegung fasse ich für mich den Entschluss, die ausstehenden Ziele an die geplante zweite Reise anzuhängen und diese jetzt vorzeitig abzubrechen.

Eine Eidechse im Cat Tien National Park.

Wie die Tage zuvor habe ich jedoch keine Ahnung, wie genau ich nach Saigon und von dort zurück nach Deutschland kommen soll, zumal ich keine Reiserücktrittsversicherung oder Umbuchungsklausel abgeschlossen habe. Allerdings ist dieser Zustand nicht neu, die gesamten letzten Tage wusste ich abends im Hotel nicht, wie ich weiterkomme und wo ich morgen übernachten werde. Letztlich hat sich morgens aber immer problemlos eine Option aufgetan und die Reise war, abgesehen von meiner eigenen Schussligkeit, unproblematisch.

Ein Vogel im Cat Tien National Park.

Ich überquere mit dem Boot den Fluss. Am anderen Ufer nehme ich mir einen Xe om – Fahrer, welcher mich am Busbahnhof der nächsten Stadt abliefern soll. Wir halten aber vor einem verschlossenen Reisebüro. Ich bin etwas aufgebracht und streite mit dem Xe om – Fahrer, der plötzlich keinerlei Englisch mehr kann. Da hält auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein kleiner, lokaler Bus mit einem kleinen Schild „Saigon“, in den ich zu zwei Dutzend Vietnamesen einsteige. Zwar bin ich etwas orientierungslos: Ich kenne nicht einmal den Namen der Stadt (im Vietnam existieren quasi keine Verkehrsschilder und nie Ortsschilder), in der ich eingestiegen bin. Zumindest nach dem Sonnenstand fahren wir Richtung Süden, nach etwa 100 km Fahrt kommt dann auch der erste kleine Wegweiser Richtung Saigon. Zum Glück. Wenigstens fahre ich nicht in die verkehrte Richtung. Nach vielen Stunden Fahrt kommen wir endlich irgendwo in Saigon an. Zuvor macht der Fahrer den einen oder anderen Schlenker, um beispielsweise einen Sack Gemüse abzuliefern. Am Busbahnhof erwartet mich wieder dasselbe Bild. Kaum ausgestiegen, werde ich von einer Horde Xe om – Fahrer belagert. Ich mache diesen klar, dass ich zum nächsten Internet-Cafè gebracht werden möchte und handele den Preis herunter. Ich nehme einen Fahrer, der auf meine Fragen mit „Ja, ja“ antwortet, gleichwohl der Gewissheit, dass dieser Fahrer wahrscheinlich keinerlei Ahnung hat und es unterwegs noch reichliche Diskussionen geben wird. So kommt es dann auch: Zunächst liefert er mich beim erstbesten Café ab, nach meinem Protest fahren wir zum nächsten Café, das zumindest WLAN hat. Aber ohne einen eigenen Computer nutzt das wenig. Wir fahren schließlich ein drittes Café an, in dem der Cafébesitzer mir schließlich seinen privaten Computer zur Verfügung stellt.

Etwas später sitze ich im Taxi und bin auf dem Weg zum Flughafen. In zwei Stunden geht der letzte Flug für heute nach Deutschland. Zwar habe ich kein Ticket, aber auch das wird sich schon lösen lassen. Am Flughafen werde ich von Schalter zu Schalter geschickt. Irgendwann habe ich aber genug und begebe mich direkt zum Check-In-Schalter von Malaysia Airlines, mit denen ich eine Woche später zurückfliegen würde. Mit einem charmanten Lächeln, einer etwas abstrusen Begründung und nach kurzer Verhandlung kann ich für ein paar Euro umbuchen. Neunzig Minuten später heben wir ab. Mit Zwischenlandung auf dem modernen Flughafen von Kuala Lumpur geht es nach Frankfurt zurück.

Das Fazit (Tag 16, 20.01.2013)

Im Flugzeug konnte ich einigermaßen schlafen. Mein Gepäck kommt sofort, der ICE nach Günzburg ist schnell gebucht. Diese Zeilen schreibe ich gerade im Zug. Es wird Zeit für ein Fazit, welches nicht einfach ist. Abschließend bleiben sehr divergente Eindrücke zurück. Einerseits nehme ich von dieser Reise ein Sammelsurium positiver Erfahrungen mit. Der Umstand, dass es sich um ein asiatisches Land handelt, war nach meiner interessanten Borneoreise sehr angenehm. Das Land ist landschaftlich vielgestaltig. Chaotische Städte, tolle landschaftliche Szenerien, interessante Tiere, so wie die großartigen Languren in Van Long und auf der Son Tra – Halbinsel. Ein Land mit großer Historie. Weiterhin habe ich dezidierte Einblicke in die biologische Feldarbeit erhalten und für mich die Gewissheit erlangt, dass eine derartige Arbeit für mich nichts gewesen wäre.

Wo Licht ist, da ist aber auch Schatten. Zunächst einmal sei das Wetter in der ersten Woche genannt, dieses war dermaßen kalt und trübe, dass kein Urlaubsfeeling aufkommen sollte. Zudem hatte ich oft mit den vietnamesischen Eigenheiten Schwierigkeiten. Das fehlende Benehmen, die Gleichgültigkeit (z.B. der Xe om – Fahrer) und immer wieder das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden. Und der wichtigste Punkt ist natürlich der Verlust meiner Kamera samt all den Bildern.

Zukünftig muss ich diesbezüglich mehr Vorkehrungen treffen.

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